Essstörung – warum Selbstliebe heilen kann.

Akzeptanz und Selbstliebe waren die Heilung meiner Essstörung. Selbstliebe bedeutet, dass du dich in deinem Körper wohlfühlst. Sie bedeutet auch, dass du niemand anderen brauchst, um glücklich zu sein. Self-Love startet ab dem Punkt, an dem du beginnst, deine Fehler und Makel als „einzigartig“ zu erkennen. Während meiner Pubertät habe ich diese Liebe verloren, wie viele in dem Alter. Ich habe mir gefehlt und mein Leben von den Meinungen anderer Menschen abhängig gemacht. Mir ist etwas passiert, dass mir kein zweites Mal passieren wird, mich jedoch zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin.

„Ohje iss etwas WENIGER du bist zu dick“Moppel Mobbing

Als Kind stand ich gut im Futter, ich machte mir auch nie wirklich Gedanken darüber, das zu ändern, auch wenn ich mir in der Grundschule oft den Spruch anhören konnte, dass ich dick sei. Das war verletzend, aber für mich kein Grund, mich anzupassen. Ich selbst fand mich eigentlich nie wirklich übergewichtig, nennen wir es „gute Rücklagen haben“. Trotzdem macht es emotional etwas mit einem Kind, das solche Sprüche abbekommt und sogar im Freundeskreis aufgezogen oder anders behandelt wird. Was sich in einem Zeitraum von ungefähr 7 Jahren entwickelte, nahm später emotional und körperlich zerstörende Ausmaße an.

Mobbing macht krank!

Im Teenager Alter bekam ich einen enormen Wachstumsschub und nahm automatisch ab. Das war das erste Mal in meinem Leben (zumindest nahm ich das so wahr), dass die Leute mir Komplimente für meinen Körper, meine äußere Form machten. Sie sagten „WOW, hast du gut abgenommen, das sieht super aus“ – unterbewusst dachte ich mir, mit jedem weiteren Kilo das fällt, steigt die Anzahl der Komplimente und damit mein Ansehen. Das funktionierte anfangs auch echt gut. Das Problem war nur, dass ich mich wie in einem Tunnel nur noch darauf konzentrierte, wie ich auf keinen Fall wieder zunehme und im besten Fall noch weiter abnehmen konnte. Eine Tatsache, die ich damals selbst nicht einsehen wollte – ich wurde MAGER! Über meinen Körper und Geist hatte ich längst die Kontrolle verloren, agierte fremdgesteuert und (aus heutiger Sicht) falsch. Ich geriet in die Maschinerie der Essstörung – der Drang, immer dünner werden zu wollen.

Exkurs: Wie habe ich mich während der Magersucht verhalten?

Ich habe exakt 3 Mahlzeiten am Tag gegessen, jeden Tag das gleiche. Frühs, ein halbes Brötchen (nur die Hülle, den Teig hab ich vorher rausgenommen) mit Nutella – ja, das habe ich mir „gegönnt“. Mittags ein geschmiertes Hörnchen und nie Mittag in der Mensa. Abends eine Schwarzbrotstulle mit irgendwas drauf. Süßigkeiten wie Eis oder Chips gab es nur abgezählt und KEINE Schokolade. Das alles habe ich mir jeden Tag aufgeschrieben (wie Tagebuch) incl. mein exaktes Gewicht mit 2 Nachkommastellen, um alles genau kontrollieren zu können. Da mir irgendwann keine Hosen mehr passten, zog ich nur noch Leggins oder Strumpfhosen an und darüber meistens weite Kleidung. Wenn jemand auf die Idee kam, mich darauf anzusprechen, dass ich zu dünn sei, antwortete ich oft damit, dass ich eine Schilddrüsenüberfunktion hätte (das hatte ich irgendwo aufgeschnappt und es schien mir eine gute Ausrede zu sein, um meine Ruhe zu haben). Meine Periode, die ich als eine der ersten Mädels bei uns schon seit der 6. Klasse hatte, blieb irgendwann aus. Ein offensichtliches erstes Anzeichen für einen viel zu geringen Körperfettanteil, wodurch die  Hormonproduktion gestoppt wurde. Die Nährstoffunterversorgung versetzt den Körper in eine Art Notzustand, in dem sämtliche Reserven für die Selbsterhaltung benötigt werden.

Die Sätze lauteten jetzt:

„Ohje iss etwas MEHR, du bist zu dünn“ Essstörung: Anorexie - helft jungen Mädchen

In der Zeit meiner Abschlussklasse, also 2 Jahre vor dem Abitur, begann ich zu begreifen, dass bei meiner Einstellung zur Körperform grundlegend etwas schief läuft. Auf einmal schämte ich mich WIEDER für meinen Körper. Im Sommer traute ich mich aus Angst vor den Blicken nicht ins Freibad. Meine Hosen passten nicht mehr, ich konnte nur noch Leggins mit weiten Oberteilen tragen und begann meine Sachen in der Kinderabteilung zu kaufen.

Weckt mich auf aus diesem Albtraum!  Tatsächlich klingelte der Wecker. Ich kann heute nicht mehr sagen, was genau mich zum Umdenken bewegte, aber es machte Klick und ich wollte unbedingt wieder zunehmen. Die Symptome schränkten mich in meinem grundlegenden Lebensoptimismus einfach zu sehr ein. Mein Essverhalten wirkte dich negativ auf mein Leben aus. Selbsteinsicht war der erste Schritt zur Besserung. Erst sprach ich mit meiner Familie darüber, dass ich etwas ändern wollte und dann tat ich es auch.

Zunehmen ist nicht leichter als Abnehmen!

Leider war es auch schon der Punkt, an dem es mir trotz vorhandenem Willen unglaublich schwer fiel, wieder zuzunehmen. Mein Magen hatte sich so verkleinert, dass er bei größeren Mengen schon wehtat und ich Darm Probleme bekam. Ich drehte die Tipps in den Diätplänen um, aß viel Fruchtzucker, Kohlenhydrate, Fette und ungewohnter Weise zwei warme Mahlzeiten. Schritt für Schritt zeigten sich Erfolge. Ich krempelte mein Leben komplett um – beschäftigte mich immer mehr mit normaler, gesunder und vor allem regelmäßiger Ernährung und begann damit ins Fitnessstudio zu gehen.

Ich wollte nicht mehr dick oder dünn sein, sondern einen geformten und gesund aussehenden Körper haben!
Proteinreiches Essen und regelmäßiger Sport prägten von nun an meinen Alltag. Ich begann wieder, mich langsam in meinem Körper wohl zu fühlen, machte mein Abitur und bewarb mich für ein Studium. Zu dem Zeitpunkt war ich schon auf dem Weg der Besserung, das wusste ich, nur waren meine Eltern davon bislang nicht wirklich überzeugt. Als klar war, dass ich fürs Studium aus- und wegziehe, war der einprägsamste Satz eines mir nahestehenden Menschen: „Wir holen dich dann eh in ein paar Monaten tot aus deiner Wohnung“. Den hab ich bis heute nicht vergessen. Sicher waren diese Worte auch noch mal mehr ein Grund, mich in Körper und Geist selbst zu heilen. Und das hat geklappt, sogar ohne externe Hilfe, konnte ich mich durch neue Selbstliebe von der Essstörung heilen.

Ab Sommer 2012 – geheilt!

Sport entwickelte sich für mich zu einer Leidenschaft. Das war der Zeitpunkt, an dem ich mich selbst als „geheilt“ beschreiben würde. Das war im Sommer 2012. Eine Erfahrung, die ich keinem auf der Welt wünsche, mich aber gleichzeitig zu der starken Persönlichkeit gemacht hat, die ich heute bin. Wie das Rapper Kontra K ganz gut zusammenfasst: „Man muss einmal am Boden gewesen sein, um fest darauf zu stehen – ich lach den Niederlagen dreist ins Gesicht. Denk mir, mich kriegt ihr nicht klein“ – aus den Eindrücken und Erlebnissen dieser Zeit entwickelte ich den krassesten KAMPFGEIST, den man sich vorstellen kann, in allen Lebensbereichen. Ich wollte mich nie wieder einschränken müssen und mein Leben genießen – da hatte ich auch erst mal einiges aufzuholen. Ich sag mal so, das waren wilde Anfang 20er 😀

Mittlerweile feiere ich meine Erfolge – beruflich und auch körperlich. Ich habe ein gesundes Selbstbewusstsein entwickelt und einen Lebensstil gefunden, der mich glücklich macht.

Die Sätze, die ich heute höre, sind:

„Toller Körper, also bist du eingebildet und dumm“Bodypositivity: InShape

Wenn ich solche Sätze mitbekomme, atme ich das einfach weg. Wir Menschen denken in Schubladen. Wenn mich heute jemand auf mein Sixpack anspricht, dann sieht er/sie nur die Gegenwart. In den seltensten Fällen interessieren sich Menschen für die Geschichten anderer. Für mich ist das (Stand heute) absolut ok, ja sogar egal, wie andere über mich denken. Ich habe mich noch nie im Leben so wohl in meinem Körper gefühlt wie heute und mir waren gleichzeitig die Meinungen anderer noch nie so egal. Hätte ich schon früher diese Einstellung und das Gefühl von innerer Zufriedenheit gehabt, wäre ich vielleicht nie an Magersucht erkrankt. Heute bin absolut stolz darauf, dass ich mich aus eigener Kraft heilen konnte. Und eins habe ich definitiv gelernt, Menschen beurteilen nie deinen Weg, aber urteilen IMMER (wenn auch unterbewusst) über den gegenwärtigen Moment. Darum hör auf Die Ärzte und: „Lass die Leute reden und hör ihnen nicht zu. Die meisten Leute haben ja nichts Besseres zu tun“.

Mein Tipp an DICH:

Sei so, wie du sein willst und tu das, was du tun möchtest. Lass dir nicht rein reden, siehst ja, wie das enden kann. Finde deinen individuellen Weg zu einem gesunden Lebensstil, mit dem du dich wohlfühlst und nicht das Gefühl hast, dich einschränken zu müssen. Wenn du dich auf diesem Weg befindest, wird es dir im Leben noch viel leichter fallen, auch andere Dinge optimistischer anzugehen und über deine Grenzen hinauszuwachsen.

WICHTIGER HINWEIS aus Liebe:

  1. Wenn du dich in dem beschriebenem wieder erkennst, ist der erste Schritt definitiv, dass du dir eingestehst, dass du Hilfe brauchst. Die Angst davor direkt „eingewiesen“ zu werden ist absolut unberechtigt, aber es hilft im ersten Schritt seine Erkenntnis laut auszusprechen.
  2. Wende dich an deine Eltern, Freunde und wenn dir externe Menschen lieber sind, dann such dir einen guten Psychologen – hierüber sprichst du am besten mit deinem Hausarzt (ärztliche Schweigepflicht).
  3. Mach dir klar, welche negativen Einflüsse dein gestörtes Essverhalten auf dein Leben hat und wie es dich einschränkt. Selbsteinsicht ist der erste Schritt zur Besserung!
  4. Umgehe Menschen, die dich mit Vorwürfen konfrontieren, das ist KEINE Hilfe und halte dich an diese, die dir wirklich eine liebevolle Stütze sind. Die Heilung steht in deiner eigenen Verantwortung.
  5. Mehr Informationen findest du auch bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA: https://www.bzga-essstoerungen.de/

In jedem Fall kannst du dir sicher sein, du musst deine Essstörung nicht allein in den Griff bekommen. Sprich aus, dass du Hilfe brauchst, denn das ist wahre Stärke! Du schaffst das. Glaub an dich und lerne dich selbst wieder zu lieben, ohne dir zu schaden.